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  Interview mit Carol und Daniel aus Kanda, die nach einer langen Genua-Odyssee (Scuola Diaz, Folterungen in der Kaserne Bolzaneto und in den Gefängnissen) am 27. Juli in Bern angekommen sind.
  Bern, den 29.7.2001
 

Ihr wart in der Schule, als die Polizei kam und alle verhaftete – wie habt ihr das erlebt?

Daniel: Wir kamen am früheren Abend an, um das Internet zu benützen und herauszufinden, was den Tag hindurch und am Tag zuvor passiert war. Zudem wollten wir unseren FreundInnen und Eltern ein e-mail schicken und mitteilen, dass wir eher früher als später zu Hause ankommen würden. Wir lagen in unseren Schlafsäcken, bereit zum schlafen, und ich erfuhr jetzt, dass es so um elf oder zwölf gewesen sein muss, als die Polizei kam.
Wir hörten, dass draussen etwas ging, und ein Typ kam hereingerannt und schrie etwas auf Italienisch oder Deutsch oder sonst einer Sprache, die wir nicht verstanden. Aber wir verstanden, dass die Polizei da war. Die Türen wurden geschlossen und verbarrikadiert. Wir hörten die Polizei, wie sie draussen an die Tür trat, das Fenster uns gegenüber wurde von der Polizei zerschlagen, und die Splitter flogen an meinem Gesicht vorbei, als ich neben dem Fenster vorbeirannte. Wir wurden zusammengedrängt, alle zusammen wurden wir die Treppe hinaufgedrängt, wir versuchten, einen Platz zu finden, wo wir uns verstecken konnten. Niemand verstand, was eigentlich passierte, es war völlige Panik. Als ich den ersten Bullen sah, wie er die Tür eintrat, sah ich hinter ihm nur blaue Uniformen, sonst nichts. Ich wusste überhaupt nicht, wie viele Bullen dort waren, was passierte, und natürlich erwartete ich nicht das Ausmass der Gewalt, das sie ausübten. Wir rannten also die Treppe hinauf bis in den obersten Stock, so weit wie wir hinauf konnten. Dort rannten wir in die hintere Ecke des Stockwerks, wo ein Fenster war und begannen, aus dem Fenster zu klettern. Wir waren vielleicht etwa sechs Leute...

Carol: Ich glaube, zwischen sechs und zehn von uns waren dort, ich bin nicht sicher, ob’s im zweiten oder im dritten Stock war. Einige konnten aus verschiedenen Fenstern klettern. Einige davon konnten fliehen, andere wurden in der Nähe der Schule geschnappt und noch mehr geschlagen. Wir waren im zweiten oder dritten Stock und wollten aus dem Fenster klettern, aber als wir aus dem Fenster schauten, sahen wir, dass überall Polizei war. Wir wussten nicht was machen, wir sahen die Polizei bereits die Treppe heraufkommen, sie waren am Ende des Korridors, und wir hielten die Hände über die Köpfe, ich erinnere mich, und dachten: Jetzt ist es zu spät. Sie begannen zu schreien und befahlen uns, uns auf den Boden zu legen. Wir legten uns hin, wir waren zusammengedrängt, am Boden... Willst du weiterfahren?

Daniel: Als ich vom Fenster runterkletterte, kam dieser Polizei-Offizier rüber und zerschlug einen Tisch oder einen Stuhl und schrie rum. Er zerschmetterte dieses Ding, und da dachte ich: Hier geht was ab, das ist völlig aggressiv, und wir legten uns auf den Boden im Stil: Okay, wir haben nichts, es ist gut. Und die erste Person von uns – wir lagen alle zusammengekauert – ... Ich sah diesen Polizisten, wie er sie oder ihn einfach mit dem Schlagstock auf den Kopf schlug, richtig hart, und dann hielt ich meinen Kopf runter und begann zu begreifen, was passieren würde.
Mehr und mehr Polizisten kamen durch die Tür und näherten sich durch den Korridor, alle kamen zusammen. Wir waren am Boden zusammengekauert, und jeder von ihnen schlug uns systematisch, Schlagstock nach Schlagstock. Gegen Ende sah es so aus, als ob sie fast miteinander ringen würden, damit uns jeder über die anderen Polizisten hinweg auch noch seine Schläge verpassen könnte. Das Knäuel von uns auf dem Boden – ich glaube, ich war am Ende des Korridors, wo eine Tür neben mir war, so dass ich, glaube ich, am meisten von uns abkriegte... sie kamen zu uns, schlugen uns, schlugen mich, schlugen, schlugen, schlugen, und dann gingen sie in dieses Zimmer und kamen zurück, und da war ich der erste und sie schlugen einfach zu, schlugen mich, schlugen, schlugen. Ich konnte nicht sehen, was den anderen Leuten passierte, ich hörte sie bloss schreien und weinen. Ich weiss nicht, wie lange es dauerte, aber nach etwa der Hälfte begann ich die Tatsache zu akzeptieren, dass sie uns höchstwahrscheinlich umbringen würden. So glaubte ich jedenfalls. Ich begann zu begreifen: Vielleicht sind wir Tiere für sie – weil sie überhaupt keine Emotionen zeigten, sie schlugen nur, schlugen, schlugen, ohne Pause. Da beschloss ich, auf Englisch zu sprechen, ich sagte: Bitte hört auf, hört auf, und ich wiederholte es andauernd, obwohl sie einfach weiter zuschlugen, vielleicht schrie ich es auch, ich wollte bloss, dass sie wissen, dass wir keine Tiere sind. Aber es half nichts, ich denke, vielleicht schlugen sie mich sogar mehr.

Carol, schlugen sie dich auch?


Carol: Ja. Ich hatte Glück, weil ich meinen Rucksack noch immer anhatte, einen grossen Rucksack, so konnten sie nicht richtig. Ich war unter meinem Rucksack zusammengekauert und ich hatte noch zwei Jacken, die ich schnell gepackt hatte, weil ich dachte, dass wir rausgehen würden, ich weiss nicht... Wir waren in so einem Stress, dass ich einfach alles packte, was ich hatte, oder ich probierte es zumindest, und diese Sachen hatte ich dann noch. So hatte ich die zwei Jacken über meinem Kopf, und ich hatte Glück, weil sie die Schläge dämpften. Ich wurde vor allem auf eine Seite geschlagen, die meisten Leute, die ich sah, lagen am Boden und wurden auf eine Seite geschlagen.

Daniel:
Alle, die ich sah, scheint es, kriegten das meiste auf einer Seite ab. Und die Polizei sagte hinterher natürlich, dass wir uns gegen die Festnahme wehrten, aber bei allen, die dort waren, ist es offensichtlich, bei den Schlägen auf einer Seite, dass wir alle zusammengedrängt lagen, mit den Armen über dem Kopf, um den Schädel vor den Schlägen zu schützen. Viele Frauen, die ich sah, haben gebrochene Arme, während die Männer Löcher in den Köpfen haben. Als wir die Treppe in der Schule hinuntergingen, sah ich, wie Männer, die noch nicht aus dem Kopf bluteten, auf dem Weg hinunter noch mehr Schläge abkriegten. Wie um einen Stempel zu hinterlassen, schien es.

Du sagst Männer – schlugen sie vor allem Männer?

Daniel: Nein, die Prügel war systematisch. Alle wurden geschlagen. Alle, die wir sahen, wurden geschlagen. Sie “diskriminierten” nicht zwischen Männern und Frauen. Aber ich denke, wie gesagt, von dem was ich sah – und ich konnte nicht viel sehen, meine Sicht war durch das Blut, das mir vom Kopf lief, gefiltert –, dass die Männer auf den Kopf tätowiert wurden, während die Frauen vielleicht nicht direkt auf den Kopf geschlagen wurden ... Natürlich wurden aber auch viele Frauen auf den Kopf geschlagen.

Wieviele Leute waren zu dieser Zeit im Zentrum?

Carol: Ich weiss, dass 31 Frauen in meiner Gefängniszelle waren, und vielleicht 40 oder 50 Männer in der Zelle daneben...

Daniel: 93 Leute wurden in der Schule verhaftet, aber natürlich erfuhren wir das nicht in der Schule oder bevor wir unseren “Verhaftungsreport” erhielten. Ich kriegte den, als ich im Gefängnis war.

Carol: Vielleicht waren auch mehr Leute dort, weil einige von ihnen flohen und ein paar konnten aus dem Spital raus, ohne ins Gefängnis zu kommen.

Daniel: Und ich bin sicher, dass einige einfach verschwanden, und man weiss nichts von ihnen. Was passierte mit ihnen? Niemand weiss es.

War das eure erste Nacht in der Schule?

Carol: Wir gingen dorthin, um die Computer zu benützen, wie viele andere Leute auch. Das ist interessant, viele Leute waren eben erst gekommen, es gab nicht eine Gruppe, die fest dort war, es war alles zusammengewürfelt: Leute, die dachten, dass das ein sicherer Ort war, um die Nacht zu verbringen, dass man die Computer benützen konnte, und es war drinnen, also war es wärmer, als draussen zu schlafen. Also es war eine zusammengewürfelte Gruppe von Einzelnen oder Gruppen von Freunden und Freundinnen.

Daniel: Ich erfuhr später, dass Indymedia vielen Leuten gesagt hatte, dass sie dort hingehen sollten, weil ihre eigenen Räume schon voll waren. Die Schule war gemietet, also war es legal. Vorher hatten wir in einem grossen Fussballstadion übernachtet, dass das Genova Social Forum gemietet hatte.
Ja, es war die erste Nacht, die wir dort verbrachten, aber wir kamen nicht zum Schlafen, wir waren gerade erst in unseren Schlafsäcken und sprachen noch ein bisschen. Wir hatten noch nicht einmal unsere Augen geschlossen.

Ihr habt gesagt, dass die Bullen rumschrien. Habt ihr verstanden, was sie schrien?

Carol: Das Einzige, woran ich mich erinnern kann, ist “Bastardo, Bastardo” wie ”Scheisskerl, Scheisskerl”. Und dann schrie Daniel: “Bitte hört auf!”, und ich sagte: “Basta, basta, aufhören, bitte aufhören”, aber...

Daniel: Sie schrien auch etwas in Sprechchören, und später fanden wir heraus, von jemandem, der dort war und Italienisch kann, dass sie schrien: “Wir werden euch umbringen, wir werden euch umbringen.”

Carol: Ja, und sie sangen faschistische Lieder, als sie reinkamen… Ich weiss nicht… Einige von ihnen sangen... Sie sagten einige Sachen auf Englisch, wie: “Runter, runter, nicht aufstehen, schau mich nicht an” und solche Sachen. Weil wenn du sie anschautest... – sie wollten nicht identifiziert werden können, die meisten von ihnen trugen auch Masken oder Helme, um die Gesichter zu verdecken, so konnte man gar nicht sehen, wer sie sind.

Waren sie alle von derselben Polizei? Von welcher?

Daniel: Wir erfuhren jetzt, dass die Polizisten in der Schule von einer speziellen Einheit waren, die von Rom hergebracht wurde. Dies sagte ein Polizeioffizier, der einer italienischen Zeitung, “La Repubblica”, ein Interview gab. Ich kann mich nicht an die Einzelheiten erinnern, woher sie genau waren, aber es war bestimmt eine Spezialeinheit von Rom. Sie wollten keine Polizisten von Genua dafür brauchen.

Carol: Möglicherweise eine Anti-Terror-Einheit…
Andere Leute berichteten, dass die Bullen dieses Lied sangen: uno due tre, viva Pinochet, quattro cinque sei, morte ai ebrei, ......

Daniel: Es wurde so viel geschrien, geweint und gekreischt, dass du gar nichts richtig ausmachen konntest, vor allem, wenn es auf Italienisch war. Ich kann mich nur an die Schreie der Leute neben mir und von Carol unter mir erinnern, und an Leute, die schrien, dass die Polizei aufhören sollte.

Konntet ihr zusammen bleiben?

Carol: Nein. Ja, doch, aber nur in der Schule.

Daniel: Ja, und dann wurde ich auf einer Bahre ins Spital gebracht. Carol wurde in ein anderes Spital gebracht. Und dann waren wir in verschiedenen Gefängnissen.

Wer brachte euch ins Spital? Die Polizei?

Carol: Nachdem wir von den Bullen im Korridor geschlagen wurde, sagten sie uns schliesslich: Steht jetzt auf! Da mussten wir den Leuten helfen, die selbst nicht mehr stehen konnten, und wir standen alle auf und sie führten uns die Treppe hinunter. Das war das erste Mal, dass wir einen Sanitäter sahen, in einem orangenen Gewand. Da war nur einer, den wir sehen konnten, und er versuchte, die schwerer Verletzten auf eine Seite zu bringen, aber die Polizei liess sie nicht rübergehen.

Daniel: Alle, die rübergehen wollten, wurden von den Bullen geschlagen, die neben dem Sanitäter standen.

Carol: Ja, genau. Ich versuchte, Daniel zum Sanitäter zu bewegen, aber es ging nicht, so wurden wir die Treppe runtergedrängt bis zur Eingangshalle, und wir waren alle zusammengedrängt. Sie sagten uns, dass wir auf den Boden liegen sollten, dass wir nicht aufschauen dürften, wir wurden alle zusammengedrängt mit dem Gesicht auf dem Boden, so dass wir die Polizisten um uns herum nicht sehen konnten. Schliesslich kamen ein paar Sanitäter mehr, aber ich glaube, das waren keine richtigen, bloss Freiwillige, weil sie wussten gar nicht, was sie tun sollten. Offensichtlich war dies eine Notfallsituation, aber alles was sie hatten, war Desinfektionsmittel, das sie den Leuten auf die Köpfe tropften, und ein paar Verbände oder so. Sie rannten von einer Person zur anderen, tätschelten ihre Köpfe, wussten nicht, was tun... Die Leute schrien, einige hatten gebrochene Schlüsselbeine. Unterdessen ging die Polizei durch den Raum, sie lasen Rucksäcke auf, warfen sie rum, suchten irgendwas.

Daniel: Sie trampelten auf allem herum, was kaputt gemacht werden konnte. Ich sah den einen Polizisten aus dem Augenwinkel, der auf allem herumtrampelte, und als wir am Boden lagen, trat einer der Polizisten Carol, weil sie gerade am Ende unseres Knäuels lag. Er trat sie in den Arsch mit seinen schweren, grossen Fallschirmjägerstiefeln, denen, mit denen sie mir auch in den Kopf traten, als sie mich auf dem oberen Stock schlugen. Es war wie eine Masse von Stiefeln. Wir lagen wahrscheinlich, ich weiss es nicht genau, aber jemand sagte später, dass wir wahrscheinlich eine halbe Stunde dort waren, nur am Boden lagen und bluteten und weinten.

Carol:...und warteten auf die Ambulanz.

Daniel: Ich glaube, ich war einer der ersten, der mit der Ambulanz wegging...

Carol: Nein. Als schliesslich eine Ambulanz kam, schrie ich, dass sie zu Daniel kommen sollten, weil er viel mehr blutüberströmt schien als alle anderen, aber von da an dauerte es etwa noch eine halbe Stunde. Schliesslich kam ein Arzt, der Englisch konnte, und er versuchte, die Leute zu beruhigen, und sagte ihnen, dass sie in einer halben Stunde im Spital sein würden, dass er sich um sie kümmern würde, dass man sie jetzt nicht schlagen würde...

Daniel: Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt waren mehr Ärzte da, und die Polizei ging zur Seite, weil sie merkte, dass die Leute in die Schule sehen konnten. Als man mich rausbrachte, schien mir, dass Tausende von Leuten dort waren, aber ich bin sicher, dass nur etwa 100 oder 200 vor dem Indymedia Centre standen, das gleich gegenüber der Schule war. Und da waren noch mal etwa so viele Journalisten und Kameras, und alle schrien in Sprechchören gegen die Polizei. Wie ich sagte, konnten sie in die Schule sehen, und ich glaube, die Prügel ging oben noch weiter, und gegenüber konnten sie die Schreie hören, sahen, wie das Licht an- und ausging, hörten die Leute weinen und die Polizei brüllen und in Sprechchören schreien.
Man brachte mich auf einer Bahre raus, und am Anfang, gleich als wir zur Tür rauskamen bis wahrscheinlich zur Strasse, waren Polizisten auf beiden Seiten, dieselben, die uns geschlagen hatten, standen mit ihren Schlagstöcken und schauten auf meine Bahre herunter. Wegen des Schocks, in dem ich war, war ich sicher, dass sie gleich wieder beginnen würden, mich zu schlagen. Ich hatte die Leute noch nicht gesehen, die von der anderen Strassenseite alles mitverfolgten. Also gingen wir da durch, sehr langsam, viele Kameras in meinem Gesicht, und sie schoben mich in die Ambulanz. Ich sass dort einige Minuten und wusste nicht, ob meine Arme oder Beine gebrochen waren. Und sie brachten noch mehr Leute in die Ambulanz, und von da dauerte es noch länger, weil sie um die rote Zone der Stadt herumfahren mussten. Vielleicht ging es eine halbe Stunde, bis wir im Spital waren, für mich waren es Stunden. Als wir beim Spital ankamen, konnten wir nicht aussteigen, bis die Polizei dort war und den Weg von der Ambulanz bis zum Spital säumte.
Musstest du zu Fuss von der Ambulanz bis ins Spital gehen?
Daniele: Nein, ich war auf einer Bahre. Ich war der einzige in unserer Ambulanz, der auf einer Bahre war. Bevor wir einen Arzt sehen konnten, mussten wir eine Identitätskarte abgeben, und ich hatte keine, ich hatte nur Carols, deshalb musste ich noch warten während... ich weiss nicht, wie lange, es war eine lange, lange Zeit, vielleicht 20 Minuten, bis ein Arzt oder sonst jemand – ich glaube nicht einmal ein Arzt – kam und begann, meinen Kopf zusammenzunähen und das Blut wegzuwischen, das noch nicht weg war. Sie hatten mein Gesicht abgewischt, als sie mich aus der Schule trugen. Ich glaube, sie merkten, dass da viele Kameras waren, und als ich rauskam, wollten sie nicht, dass es so heftig aussah, wie das Blutbad war. So wischten sie das Blut von unseren Gesichtern, so dass wenn du die Bilder anguckst von den Leuten, die aus der Schule kommen, es nicht nach so einem Blutbad aussieht, wie es war... Du kannst auch die Bilder sehen, die drinnen gemacht wurden, und da waren überall Blutpfützen. Das Blutbad war immens. Aber ja, sie wischten uns die Gesichter ab.

Als Daniel im Spital war, warst du, Carol, in einem anderen Spital?

Carol: Ja, nachdem Daniel gegangen war, brachten sie mehr Bahren, und ich hatte Glück: Der Arzt, der Englisch konnte und mit dem ich vorher gesprochen hatte, um Versorgung für Daniel zu kriegen, sagte mir, ich solle mich auf eine Matte legen, und ich wusste, dass dies meine einzige Chance war, entweder ins Spital oder in den Knast zu kommen. Und ich wusste, dass ich eher ins Spital als in den Knast wollte, auch wenn ich wusste, dass es meinem Kopf gut ging, und ich nicht dachte, dass ich irgendwelche schlimmen Verletzungen hatte, bloss starke Verstauchungen und Wunden. So konnte ich zu Fuss gehen, und die Sanitäter führten mich raus, und natürlich war dort sehr viel Polizei, aber ich hatte nicht gemerkt, dass auch so viele Leute da waren, die alles mitgekriegt hatten. Das war ein grosser Schock für mich. Sie führten mich also in den Ambulanzwagen, und glücklicherweise kam ein Mann vom Genova Social Forum mit mir rein, und noch ein anderer Mann, und er fragte uns sofort, was passiert war. Er konnte mit uns sprechen, und ich erzählte ihm alles, was passiert war. Ich weiss nicht, wie ich das zu diesem Zeitpunkt konnte, aber ich glaube, ich konnte es, und hoffentlich schrieb er es dann auf oder so. Er kam mit uns bis zum Spital – wir gingen in ein anderes Spital als Daniel, es hiess San Martino – und als wir ankamen, legten sie mich auf eine Bahre. Vielleicht waren da zehn Leute auf Bahren im Spital. Mich behandelten sie sofort, sie röngten mich und so. Der Mann vom Genova Social Forum war die ganze Zeit bei mir, fragte mich Sachen und sagte, es sei gut. Da war auch Polizei, aber sie hatten mir die Brille weggenommen, so dass ich gar nicht sah, was rundherum passierte.

Wer nahm deine Brille weg?

Carol: Die Ärzte. Es sah ganz so aus, als ob die Ärzte mit der Polizei zusammenarbeiteten.

Daniel: Ja, eindeutig, in meinem Spital arbeiteten die Ärzte für die Polizei. Ich wurde in einen abgetrennten Flügel des Spitals gebracht, eigentlich war es ein separates Gebäude. Es sah etwa so aus, wie wenn dies das Spital war, das die Polizei oder das Militär für Gefangene oder Verhaftete auf dem Transfer ins Gefängnis brauchten. Und dort war es zweifellos eine Sache der Polizei oder des Militärs, wo die Ärzte oder das Pflegepersonal ganz sicher für die Polizei arbeiteten. Und die psychologische Störung dort war genau so heftig als in der Schule, wenn nicht heftiger. Zwar wurde keine körperliche Gewalt gegen mich ausgeübt, aber sobald ich in einem Bett war, nahmen die Polizisten der Penitentiary Police – sie hatten sich rund um unsere Betten aufgestellt, wir hatten Betten mit einem Stahlgestell –, nahmen sie also ihre Knüppel raus und begannen, gegen die Bettgestelle zu schlagen und grölten: Black Block, rawh, rawh, rawh. Sie bellten wie die Hunde und sprachen auf Italienisch, so dass ich nichts verstehen konnte. Das ging so die zwei Nächte, die ich im Spital verbrachte, dauernder psychologischer Missbrauch. Ich sah zwei Leute mit einem IV im Arm, die, als sie aufstanden, um zur Toilette zu gehen, von den Polizisten rumgeschubst wurden. Und während der ganzen Zeit hatten die Ärzte und das Pflegepersonal, die alles mitbeobachteten, beschlossen, nichts zu sehen, und drehten den Kopf zur Seite und versuchten zu glauben, dass sie nichts sahen.

Warum denkt ihr, arbeiteten die Ärzte und das Pflegepersonal mit der Polizei?

Daniel: Ich glaubte damals, dass es nur durch Einschüchterung war. Ich sah einen Arzt, der dem Polizisten widersprach, der am meisten Autorität zu haben schien und verantwortlich war. Von da an sah ich diesen Arzt nie wieder. Ich weiss nicht, warum, vielleicht weil ich in einem Polizei-Spitalflügel war, dem Flügel mit Hochsicherheit und so. Da waren vielleicht acht von uns, und zwischen zehn oder bis 15 Polizisten, und dann etwa zwei Krankenschwestern und höchstens ein Arzt. Das Zimmer war einfach voller Bullen.

Carol: Und vielleicht dachten sie, dass wir es so verdienten.
Daniel: Ah ja, die Polizei erzählte dem Pflegepersonal, dass wir Terroristen seien, dass wir Banken in die Luft gesprengt, Wohnhäuser abgefackelt und Genua geplündert hätten undsoweiter. Ich glaube, die Pflegerinnen, Pfleger und Ärzte glaubten das, obwohl sie uns ohne Diskriminierung pflegen sollten. Es war offensichtlich, dass uns die meisten diskriminierten.
Bekamst du angemessene medizinische Betreuung?
Daniel: Für mich war es wie auf einem Fliessband in der Fabrik. Sie röntgten uns eine nach der anderen Person. Ich weiss überhaupt nichts von Röntgen oder medizinischen Berufen, aber ich sah, dass der Röntgenapparat sicher nicht auf die Körperstellen gerichtet war, die mir am meisten Sorgen bereiteten, wie mein Handgelenk und mein Arm. Sie gingen eher schnell schnell über diese oder jene Körperstelle, über das Bein, und schwupp, das war’s. Kein Definieren der Knochen, von denen ich das Gefühl hatte, dass sie gebrochen waren. Sie schoben mich durch eine Röhre, aber ob da irgendeine Information zurückkam, weiss ich nicht. Ich sah nie einen Arzt, der unsere Röntgenbilder oder Krankenberichte studierte. Vielleicht guckten sie sie bloss schnell an, um zu sehen, dass da keine Brüche oder ein dauernder Hirnschaden war, den sie erkennen konnten. Aber sie kamen nie zu uns oder fragten uns, was schmerzte oder was sie tun könnten, wie Schmerzmittel, nichts von alledem.

Bekamst du kein Schmerzmittel?

Daniel: Nein. Nein. Ich sass in meinem Bett, ich stand zweimal auf, um zum Badezimmer zu gehen. Während zwei Tagen sass ich bloss in meinem Bett, zweimal brachten sie mich ins Röntgen. Am letzten Tag, bevor ich entlassen wurde, gab es etwas mehr medizinische Untersuchung, aber ich denke jetzt, dass diese, vom Standpunkt des Spitals, bloss gemacht wurde, um zu sehen, was verletzt war, was uns für ein Trauma zugefügt worden war. So konnten sie ihren Bericht schreiben, sagen, was passiert war und ihre Hände sauber waschen. Dann brachten sie uns ins Gefängnis.

Wurdest du genäht?

Daniel: Ja, ich glaube, ich habe zehn Fäden in meinem Kopf. Aber sie kamen nie, um die Naht zu desinfizieren, sie nähten bloss und liessen es so. Ich mache mir deshalb immer noch ein bisschen Sorgen, dass da irgendwelche Bakterien oder so drin sein könnten. Es geht um meinen Kopf, mein Hirn ist da drin. Ich mache mir etwas Sorgen.

Schmerzt es noch immer?

Daniel: Ja, die blauen Flecken sind zurückgeganen, aber es fühlt sich an, wie wenn sie jetzt alle weiter drin sind. Meine Arme und meine Beine. Ich habe Schwierigkeiten zu gehen. Ich habe noch immer Schwierigkeiten mit Pinkeln, deshalb glaube ich, dass etwas mit meinen Nieren nicht gut ist. Mein Kopf war ein dauernder Schmerz, gar nicht zu sprechen von meinen Nerven. Psychologisch wurde da zweifellos der grösste Schaden angerichtet. Jetzt, am vergangenen Tag, seit wir hier sind, haben wir uns etwas entspannen können. Aber wenn ich einen Knall höre draussen, steht mein Herz still, ich zittere dauernd. Ein Zittern geht ständig durch meinen Körper. Wenn ich meine Hände betrachte, zittern sie immer ein wenig. Ich glaube, meine Nerven sind fertig.

Pos traumatische Rreaktionen...

Daniel: Ja, klar, der Stress ist heftig, ohne Zweifel. Schlafen, vergiss es. Ich kann vielleicht gerade mal zwei Stunden schlafen, dann wache ich auf von einem schrecklichen Alptraum und sitze da, und alles geht mir noch einmal durch den Kopf. Einschlafen ist fast unmöglich. Ich schliesse die Augen und sehe alles noch einmal, höre andere Leute schreien, wieder und wieder.

Wie fühlst du dich, Carol, eine Woche danach?

Carol: Heute scheint es in Zyklen zu kommen und gehen. Besonders wenn andere Leute da sind, fühle ich mich gut, wie jetzt, jetzt geht es mir gut. Aber dann kommt es wieder zurück, und besonders wenn ich versuche einzuschlafen, geht es nur sehr oberflächlich. Ich denke, dass ich noch immer im Knast bin, dass sie draussen sind, und sobald ich einen Schritt mache, kommen sie... Ja, das geht mir dauernd durch den Kopf, ich glaube, weil ich körperlich nicht so geschädigt wurde wie Daniel, aber ... die psychologische Tortur. Im Spital wurde ich, medizinisch, gut behandelt. Ich hatte auch nicht viel. Sie liessen mich eine Nacht dort schlafen, was ein Glücksfall war. Aber sie sagten mir auch, dass ich am nächsten Tag freigelassen würde. “Bleib nur eine Nacht hier, dann kannst du nach Hause.” Und ich dachte: “Gut, ich ruhe mich aus, schlafe hier, und morgen kann ich gehen und Daniel suchen.” Das war alles, woran ich dachte, weil das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte, hatte ich sein Blut überall auf meinen Händen und meinem Gesicht. Am nächsten Tag, noch bevor ich aufwachte, brachten sie mich in ein anderes Zimmer, zu einem Mädchen, das den Arm gebrochen und am ganzen Körper blaue Flecken hatte. Das Zimmer wurde von Carabinieri bewacht, so dass ich merkte, dass ich nicht gehen konnte. Etwa um ein Uhr kam die Penitentiary Police und legte uns in Handschellen. Ich fragte, wofür sie mich verhafteten und warum. Sie antworteten nicht, sie sagten mir nie, warum ich verhaftet worden war, was die Anschuldigung war. Sie legten uns einfach in Handschellen, durchsuchten uns, und sagten uns, dass wir gegen die Wand stehen sollten, so (mit erhobenen Händen), bis sie uns aus dem Spital rausführten in einen grossen Militärbus für Gefangene. Sie brachten uns in die Kaserne. Wir hatten keine Ahnung, wohin wir fuhren, sie sagten uns nichts. Sie schlossen die Storen an den Fenstern, so dass wir nicht raussehen konnten. Wir wurden einfach aus der Stadt rausgefahren, zu einem Gefängnis, oder einer Polizeiwache, aus der sie eine Kaserne gemacht hatten. Dort gab es alle möglichen Polizisten, also nicht in Uniformen, sie sahen fast aus wie Demonstrierende, Zivilpolizisten, Penitentiary Police, Carabinieri, Polizia, alle möglichen Arten von Polizisten. Und wir dachten: “Oh Gott, was machen die bloss mit uns?” Sie brachten uns in eine Zelle, mit zehn anderen Leuten vom Spital. Kurz darauf holten sie uns, um Fingerabdrücke und Fotos und all das zu machen. Sie sagten uns nie, was die Anschuldigung war, oder wozu sie unsere Fingerabdrücke und so wollten. Dann brachten sie uns in die Zelle zurück, die Frauen und Männer wurden getrennt. Ich glaube, da waren 31 Frauen in unserer Zelle und vielleicht 40 bis 50 Männer nebenan. Wir hörten nun, was den anderen Frauen passiert war, die nicht ins Spital gegangen waren und die direkt in die Kaserne gebracht worden waren. Einige waren in einer anderen Kaserne, wo sie in eine Zelle gebracht wurden und in einen Raum, wo die Reste von Haar, gebrochenem Glas, Flaschen und anderen solchen Dingen am Boden lagen. Die Polizei schien diese Sachen absichtlich dort gelassen zu haben, um zu demonstrieren, was mit anderen Leuten geschehen war, die durch diesen Raum gingen... Sie hatten ihnen die Haare ausgerissen. Sie sagten, da war ein ausgesprochen faschistischer Bulle, der in die Zelle kam. Er sprach über die Nazis und darüber, wie er an den Faschismus glaube. Er machte ein Hakenkreuz an die Wand. Zwei Männer mussten an die Wand stehen, so dass sie nicht sehen konnten, was er machte. Und er hatte einen grossen Metallstock, mit dem er auf den Bodeen schlug. Diese Leute waren kurz zuvor geschlagen worden und glaubten, dass sie wieder geschlagen würden. Er schlug sie nicht. Er terrorisierte sie psychologisch, indem er diesen Stock in der Hand hielt und gegen alles schlug. Wir hörten viele solche Geschichten. Nachts durften sie sich nicht auf den Boden legen und ein bisschen ausruhen, sie mussten gegen die Wand stehen. Ein Junge, als er ankam, wurde von den Bullen mit Pfefferspray abgesprayt, und dann brachten sie ihn in die Dusche. Seine Kleider kriegte er nie zurück, die ganze Nacht war er nackt in einer kalten Zelle.
Das war ein ziemlicher Schock. Das Ganze war ein Schock: zu hören, was diesen Leuten passiert war... und wir hatten überlebt. Sie hatten kein Essen oder Decken oder irgend so was, man sagte ihnen nicht, was mit ihnen passieren würde.

Woher kammen all die Frauen in deiner Zelle?

Carol: Sie waren aus Deutschland, England, Amerika, Australien, Österreich, der Schweiz, der Türkei, Spanien. Und Italien.

Daniel, wie lange warst du im Spital?

Daniel: Im Spital war ich für zwei Nächte und drei Tage. Am späten Nachmittag des dritten Tags wurde n ich zusammen mit zwei anderen in ein Fahrzeug geladen und während zwei Stunden herumgefahren, wir hatten keine Ahnung, wohin sie uns bringen wollten. Wir dachten, dass wir vielleicht an die Grenze deportiert würden, denn wir fuhren und fuhren eine Ewigkeit. Es war die ganze Zeit kaum ein englisches Wort gesprochen worden, so wusste ich überhaupt nicht, was los war.
Sie brachten uns ins Gefängnis. Niemand gab uns Informationen über irgendwelche Anklagepunkte oder juristische Sachen. Wir sassen für etwa zwei Stunden in einer Zelle. Schliesslich wurde ich zum Gefängnisarzt gebracht, der aber keine medizinische Untersuchung machte, sondern einen Report anfertigte über die Prellungen und die Naht am Kopf. Falls ich weiter geschlagen würde, oder wenn mehr Verletzungen zum Vorschein kämen, könnten sie dan vermutlich sagen, ich wäre in der Dusche ausgerutscht und hingefallen.
Dann wurde ich in eine Einzelzelle gebracht. Die beiden Zellen links und rechts von mir waren leer. Es war also immer eine Person in einer Einzelzelle, dann eine leere Zelle, dann wieder eine Person, eine leere Zelle und so weiter. Sie wollten nicht, dass wir miteinander kommunizierten. Auch wenn sie und aus der Zelle nahmen, durften wir nicht durch die Türen sprechen, nicht einmal klopfen. Wir bekamen fünf Minuten Hofgang am zweiten Tag - ich war drei Tage lang da. Beim Hofgang waren wir alle von Polizeibeamten umzingelt, niemand sprach wirklich, niemand wollte sich als "Anführer" exponieren. So sprach ich während der ganzen drei Tage mit niemand, ausser vielleicht in meiner Zelle mit mir selbst. Das Essen, das sie uns gaben, hatte überhaupt keinen Nährwert. Wir hatten keine Zigaretten, was für mich ein Problem war, da ich rauche. Kein Kontakt nach draussen. Ich verlangte natürlich, mit einem Anwalt sprechen zu können.

Konntest du nicht mit einem Anwalt sprechen?

Daniel: Nein. Am zweitletzten Tag brachten sie uns hinunter und fragten nach den Namen unserer Anwälte. Ich wusste den Vornamen des Anwalts nicht, den mir jemand vom Social Forum angegeben hatte. So sagten sie, dass ich also keinen Anwalt haben könne. Aber auch diejenigen, die Vornamen, Nachnamen und Telefonnummer ihres Anwalts hatten, bekamen ich nicht. Du musstest auch alles korrekt buchstabieren können. Ein Fehler, und du konntest nicht mit ihnen sprechen. Diejenigen, die Anwälte gehabt hätten, durften nicht einmal am Telefon mit ihnen sprechen, sie sahen sie erst vor dem Richter. Da waren auch Anwälte da. Am Mittwoch, vor dem Haftprüfungstermin am Gericht, kam ein Vertreter des Kanadischen Konsulats. Das war das erste Mal, dass ich irgendwelche Informationen bekam.

Das war sechs Tage nach der Verhaftung?

Daniel: Nein, vier Tage. Das ist am Mittwoch. Das war das erste Mal, dass ich hörte, was passiert war, und auch eine Zigarette bekam. Aber der Konsulatsvertreter wusste auch nicht viel, was passiert war. Er war ein Konsular, der für Handelsangelegenheiten zuständig war. Er war nicht gewohnt, mit politischen Gefangenen oder psychischen Traumata umzugehen. Aber er sagte mir sofort, dass es Carol gut gehe, dass sie im Gefängnis war. Also war alles, was er sonst noch sagte, nebensächlich für mich.

Bis dann wusstest du nichts von Carol?

Daniel: Ich wusste nichts von Carol. Das letzte, was ich von ihr gesehen hatte, war, dass sie voll mit Blut war. Ich wusste nicht, ob es mein Blut war oder ihr Blut. Als ich in der Gemeinschaftszelle sass, hatte cih Gerüchte darüber gehört, was im Haftzentrum geschehen war. Ich hatte gehört, dass den Frauen mit Vergewaltigung gedroht worden war und dauernd erniedrigt wurden. Ich konnte nur in meiner Zelle sitzen...

Wann erfuhrst du das?

Daniel: Bei der Ankunft im Knast hatten sie uns zuerst in eine gemeinsame Zelle gebracht, bevor wir in unsere Einzelzellen gebracht wurden.

In diesen zwei Stunden warst du in einer Sammelzelle?

Daniel: Ja, ein paar andere Leute, die im Haftzentrum gewesen waren, waren auch in dieser Zelle und hatten dort schon vier Stunden gewartet.

Sie erzählten dir das?

Daniel: Ja, sie waren in diesem Haftzentrum gewesen. Ich wusste nicht, dass es ein Haftzentrum gab. Ich wusste nicht, ob einige Leute aus der Schule schon freigelassen worden waren; das wurde mir in der Sammelzelle auch gesagt. Niemand wusste genau, was passierte. Es war alles vom Hörensagen. Von da an weigerte ich mich, überhaupt noch zuzuhören. Nicht, dass ich viel hörte. Aber ich begann mich mental daruf vorzubereiten, dass ich vielleicht mindestens zwei Monate hier bleiben müsste. Ich sagte mir, bereite dich darauf vor. Carol wird es gut gehen und sie wird hoffentlich rauskommen. Ich bereitete mich einfach darauf vor, hier während zwei Monaten alleine zu sitzen.
Aber am Mittwoch fand ich heraus, dass wir vor den Richter kämen. Ich war der letzte, der gerufen wurde. So wusste ich die ganze Zeit nicht, ob sie mich auch rufen würden oder nicht. Der Junge in der Zelle neben mir sagte mir, dass sie ferig seinen mit der Verhandlung. Zwei Zellen weiter sagte jemand, dass sie die Anhörungen für diesen Tag abgeschlossen hätten. Weil es so lange gedauert hätte und der Richter müde sei undsoweiter. . Als ich schliesslich gerufen wurde, liess ich den Jungen in der Zelle nebenan alleine auf dem Boden zurück. Er musste für weitere Vernehmungen bleiben. Als ich wegging, streckte ich meine Faust in die Höhe, als Solidaritätszeichen für ihn, und wurde von der Polizei niedergeschlagen. Wöhrend ich weggebracht wurde, hörte ich ihn zusammenbrechen und weinen; er war jetzt allein.
Ich kam hinunter in den Gerichtssaal und es war irgendwie wieder dieselbe Prozedur, vor dem Richter zu sitzen. "Nein, ich bin kein "Black Block", ich war nie "Mitglied des Black Block", okay, blablabla. Es gab auch keine englische Übersetzung . Der Richter konnte nur wenig englisch, nur "You Black Block".
Schliesslich wurde uns mitgeteilt, dass wir freigelassen würde,. Wir wurden wieder in eine Sammelzelle gebracht. Es waren ausser mir noch drei Leute da. Wir sassen da für vielleicht zwei oder drei Stunden, cih weiss nicht mehr genau wie lange.

Woher kamen diese Leute?

Daniel: USA, Deutschland und Schweden.

Carol: Die ItalienerInnen wurden in der zweiten oder dritten Nacht entlassen. Nicht alle, aber die meisten.

Daniel: In meinem Gefängnis wurde niemand aus Italienfestgehalten. Die Wärter weigerten sich, irgend eine andere Sprache als Italienisch zu sprechen. Ich glaube, es gab nur eine Person am andern Ende des Korridors, die ein bisschen Italienisch verstand. So drang nie zu mir durch, was los war.
Nachdem wir beim Richter gewesen waren, frei gesprochen wurden und in einer anderen Sammelzelle zwei oder drei Stunden gwartet hatten, wurden wir wieder in eine andere Sammelzelle gebracht. Dort blieben wir eine weitere Stunde und mussten durch die ganze Bürokratie gehen: Abnahme der Fingerabrücke, Fotografien von unseren Gesichtern undsoweiter. Dann wurden wir in einen grossen Polizeilastwagen verladen und in eine nahegelegen Stadt gefahren, ich kann mich an den Namen nicht erinnern. Wir wurden zu der dortigen Polizeistation gebracht und es wurde uns mitgeteilt, dass wir in Abschiebehaft seien. So warteten wir für weitere Stunden und Stunden und Stunden; es war uns nicht klar, wohin wir deportiert werden sollten. Einmal mehr hörte ich ein Dutzend verschiedener Geschichten, was mit uns geschehen könnte. Irgendwo mitten in der Nacht ausgestzt werden, an einer Grenze im Niemandsland, direkt ins Flugzeug nach Kanada?
Ws kamen dann drei Leute vom Englischen Konsulat, der Konsul und zwei Mitarbeiterinnen, und ein Anwalt, der, glaube ich, vom Genova Social Forum war. Ausser ihnen waren etwa zwanzig Männer da, und dann nur Polizei. Der englische Konsul sagte mir, eine Frau aus Kanada sei abgschoben und zurück nach Kanada geflogen worden. So glaubte ich, dass wir getrennt, waren, dass Carol auf dem Weg nach Kanada war.

Dachtest du, dass es Carol war?


Daniel: Ja, niemand wusste von einer weiteren Person aus Kanada. Doch sie hatte meinen Pass, ich hatte kein Geld, alles was ich gehabt hatte, war von der Polizei gestohlen worden.

War das am Donnerstag?

Carol: Ja, das war am Donnerstag, am frühen Morgen, um drei Uhr morgens.

Wo warst du, Carol, wöhrend der ganzen Zeit??

Carol: In der ersten Nacht und am Montag war ich Spital, in der zweiten Nacht im Haftzentrum, wo die Männer und die Frauen in verschiedene Zellen gebracht wurden. Das Schlimmste war für mich der psychologische Terror der Wärter, dem wir ununterbrochen ausgesetzt waren. Jeder Wärter sagte uns etwas anderes, zum Beispiel: "Okay, die Männer gehen jetzt zur medizinischen Untersuchung und dann werden sie freigelassen." Doch dann hörten wir die ganze Nacht durch die Gänge Schreie und Hilferufe und Schläge. Sie liessen uns nicht schlafen, sie kamen ständig hinein und riefen eine von uns auf, und diese musste mit dem Wärter gehen, Sie sagten uns nicht, was sie mit ihnen vorhatten, auch nicht, ob sie von jetzt an der Gruppe getrennt würden. Während der ganzen Nacht war dieser konstante Terror, weil sie uns etwas anderes sagten, asl das, was wirklich los war. Das Schlimmste war, micht zu wissen, was mit uns geschehen würde und nicht zu wissen, was mit den Jungen neben uns geschehen würde. Denn wir sahen sie jeweils vorbeigehen, mit erhobenen Händen und hinuntergelassenen Hosen, und mit frischen Bandagen. Die Wärter spielten damit. Es waren nicht gewühnliche Gefängniswärter; es sah aus, als ob die ganzen verschiedenen Polizeiabteilungen kommen würden, um uns zu töten. Die verschiedensten Polizisten waren da. Sie kamen in unsere Zellen, lachten uns aus, zeigten auf uns und sagten etwas auf Italienisch, sprachen über jede von uns. Ich bin froh, dass ich kein Italienisch verstehe, denn ich würde nicht missen wollen, was sie sagten. Sie schienen sich auch vor uns zu ekeln. Wir waren so hässlich für sie: "Schau die an, die ist so dick, und schau die da an", alles solche Sachen. Ich war aber eigentlich froh, dass sie sich vor uns ekelten, denn es gab keine Drohungen von Vergewaltigung.
Aber das Schlimmste war, nicht zu wissen, was geschehen würde. Wir waren die ganze Nacht zusammengekauert, wir hatten kalt, denn es war eine Zelle mit offenem Fenster, es ware nur Gitter da und es wurde sehr kalt. Es gab nur einen Marmorboden. Schliesslich brachten sie uns ein paar Leintücher, und wir wickelten uns zusammen in die Leintücher. Dann begann ein Gerücht zu kursieren: "Sie haben uns Leintücher gebracht, weil sie uns foltern werden". Das war noch schlimmer, denn jedes Mädchen sagte es dem andern weiter, das Gerücht begann zu laufen und Panik kam auf.
Manche sprachen viel mehr mit den Wärtern. Ich sagte mir, sie werden uns anlügen. Ich wollte mich dem nicht aussetzen.
Die Nachtschicht - es gab eine neue Schicht für die Nacht - waren Gefängnispolizisten. Sie hatten eine andere Uniform. Einer der Wärter sagte zu ihnen: "Es gibt Dinge, die man in der Nacht tun kann und am Tag nicht". Das war um etwa 1 Uhr morgens. Und sie hatten uns eben die Leintücher gegeben. Da fing wieder die Panik an, was würden sie in der Nacht mit uns machen? Sie kamen und riefen gewisse Namen auf, diese Frauen mussten mit ihnen gehen. Als wir am nächsten Tag erwachten, waren zehn Frauen nicht mehr da. Die ganze Nacht hatten wir Lärm gehört, wie Schläge. Der Lärm war unglaublich, wir wussten nicht, woher dieses Knallen kam. Und wir glaubten Schreie zu hören. Wir waren alle psychologisch terrorisiert. Besimmt war auch viel Surrealismus dabei.
Ich war glücklicherweise nicht eine von denjenigen, die in der Nacht gerufen worden waren. Am nächsten Morgen riefen sie uns alle zu einer medizinischen Untersuchung. Wir wurden in verschiedene Zellen verteilt. Sie schrieben einen Rapport über unsere Verlertzungen, und sie wollten, dass wir Papiere unterschrieben, die wir nicht verstanden. Ich weigerte mich zu unterschreiben, denn es war in italienisch, ich verstand es nicht. Ich wollte nicht, dass irgend etwas gegen mich verwendet werden könnte. Diese Bürokratie war...alle mussten da rein und all diese Dinge über sich ergehen lassen...und während der medizinischen Untersuchung schnitten die manchen Frauen die Haare ab, die Polizei schnitt die Haare ab. Besonders wenn sie Dread Locks oder so etwas hatten. Sie nahmen allen Schmuck weg. Weil wir kein Metall auf uns haben durften. Sie nahmen einigen Frauen die Brille weg, weil sie Metallgestelle hatte, und die Frauen konnten fast nichts mehr sehen. Sie verweigerten denen , die danach fragten, die Medikamente.
Schliesslich hatten alle diese Bürokratie und den Terror der medizinischen Untersuchung hinter sich. Es gab auch weibliche Wärter, doch die waren fast schlimmer als die männlichen...sie spotteten über uns, schauten uns von obern bis unten an und stiessen uns vorwärts, wenn wir auf die Toilette wollten. Du wusstest nie, welche Wärterin du bekommen würdest, wenn du auf die Toilette musstest. Aber zum Glück waren wi alle zusammen, wenigstens die zwanzig von uns, die nicht in der Nacht hinausgenommen worden waren, und wir waren alle zusammen in einer Zelle.
Wir wurden in Handschellen gelegt und in ein anderes Gefängnis gebracht.

This was Monday?

Carol: Ja, Montag, ungefähr mittags, glaube ich. Wir wurden zu einem anderen Gefängnis gebracht, ich glaube es war etwa eine oder eineinhalb Stunden von dem ersten entfernt. Wir wussten nicht, was passieren würde, wir dachten, dass wir jetzt alle getrennt würden. Wir hatten keine Ahnung, was mit uns passieren würde. Niemand sagte uns je etwas. Sie sagten: "Oh, morgen werdet ihr freigelassen". Oder: "Ihr werdet frei gelassen, wenn ihr das und das macht; wenn ihr das und das unterschreibt". Es war eine Lüge nach der anderen.
So wurden wir zu dem anderen Gefängnis gebracht und ich realisierte, dass die Gefängnispolizei vom vorigen Gefängnis und die andere Polizei, die dabei war, in diesem neuen Gefängnis nicht die gleichen Rechte hatten. Denn sie mussten ihre Pistolen und die Handschellen und alles im Wagen lassen. So dachten wir, okay, hier muss es besser werden. Sie haben keine Kontrolle mehr über uns. Jemand anderes wird hoffentlich besser sein.
Wir wurden alle in eine ammelzelle gebracht. Und es waren sieben weitere Mädchen in der Zelle. Die waren nicht in der Schule verhaftet worden, sondern waren von der Theaterkarawane. Sie waren auf der Rückreise angehalten und verhaftet worden. Wir hörten ihre Geschichte, wir hörten, was passiert war, und das die Leute gehört hatten, was in der Schule passiert war. Das war eine grosse Erleichterung, dass es Beweise und Zeugen gab, dass die Leute wussten, was uns passiert war und dass sie wussten, dass wir im Spital waren und irgendwo im Gefängnis waren.
So waren wir in dieser Geneinschaftszelle zusammen, und eine nach der anderen wurde hinausgelassen und zu einer medizinischen Untersuchung gebracht. Ich war eine der letzten...doch es war eine Erleichterung, dort zu sein, denn unsere Wärterinnen waren jetzt alles Frauen, und sie hatten keine Pistolen, sie hatten keine militaristische Kleidung, sie waren einfach Gefängniswärterinnen. Wir wussten nicht so recht, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten sollten, aber...Wenn wir uns auszogen und unsere Verletzungen zeigten, waren sie richtig empört, es war merkwürdig, es war wirklich merkwürdig. Sie hatten viel Mitgefühl. Sie wusste, und sie sagten das auch immer wieder: wir wissen, dass ihr keine Terroristinnen seid, dass ihr nichts verbrochen habt. Es war erstaunlich. Es war merkwürdig. Ich weiss nicht, woher diese Frauen kamen, aber es war eine ziemliche Erleichterung.
So blieben wir für zwei Nächte in diesem Gefängnis, und wir wurden ziemlich gut behandelt, überraschen gut, was unser physisches Wohlbefinden betraf. Aber was irgend welche juristsichen Rechte betrifft, so hatten wir gar keine. Wir konnten keinen Anwalt kontaktieren, und wir konnten keine Telefongespräche haben. Wir konnten ein Telegramm schreiben, sie sagten uns, wir bräuchten kein Geld dafür (sie hatten uns das Geld weggenommen). Und noch ein zweited Telegramm wurde geschickt, glaube ich. Sie sagten uns nie, wann wir freigelassen würden.
Sie sagten uns gar nichts.
Doch glücklicherweise hatten wir einen Fernseher in unserer Zelle, so konnten wir die Nachrichten sehen. Ich glaube, die Frauen in diesem Gefängnis wurden viel besser behandelt als die Mäner, es war offensichtlich. Wir hatten zweimal am Tag mit ihnen zusammen Hofgang. Und wir sprachen immer wieder über das, was passiert war, wir versuchten irgendwie eine Art Sitzung zu machen und herauszufinden, was wir tun sollten. Wir entschieden, dass wir versuchen würden, vor Gericht nichts zu sagen, denn wir ware alle gemeinsam angeklagt, und so konnte alles, was eine einzelne sagte, gegen die anderen verwendet werden. So entschieden wir, nichts zu sagen, wenn sie uns zum Besispiel fragten, wo wir waren, ob wir in der Schule waren oder was wir tun oder ob wir einer Organisation angehörten. Wir hatten Glück, dass wir zusammen sprechen konnten.
Am Mittwoch konnte mich der kanadische Konsul besuchen. Er sagte, er hätte mich drei oder vier Tage lang nicht besuchen können, was absolut illegal sei. Und er sagte, er habe keine Ahnung, was passierte, er habe das Gefühl, das sei nur eine Rechtfertigung für die ganze Polizeiaufrüstung, für die Militarisierung von Genua, und für den Angriff der Polizei in der Schule. Und dass wir nicht das Recht hätten, mit jemand Kontakt aufzunehmen.

Der Konsul kam am Mittwoch?

Carol: Ja, am Mittwoch morgen. Am selben Morgen hatten wir eine Erstverhandlung vor dem Gericht oder so etwas. Es war ein Richter da. Wir hatten Glück, dass wir alle die gleiche Anwältin verlangt hatten. Wir wussten ihren Namen, eine von uns wusste ihren Namen und Vornamen und Telefonnummer. So verlangten wir alle diese Anwältin. Sie war also da, aber wir hatten keine Gelegenheit gehabt, mit ihr vorher zu sprechen. Es war also einfach so: hier war der Richter und hier die Anwältin, der Richter stellte Fragen. So haben einige Leute schliesslich en üpaar Fragen des Richters beantwortet, sie wurden ziemlich stark unter Druck gesetzt, zu antworten, und andere - wir hatten zwei verschieden Richter - konnten einfach sagen: "Ich will mich nicht äussern, wir sind psychologisch jetzt nicht in der Lage, zu sprechen. Wir wurden über nichts aufgeklärt, uns wurde nichts gesagt, also wollen wir nichts sagen."
Später am Nachmittag bekamen wir die Resultate. Wir wurden alle einzeln zum Richter gebracht. Einigen wurde gesgt, dass sie freigelassen würden. Doch als ich zum Richter kam, wurde gesagt, ich wäre noch unter Anklage, aber ich könne gehen. Dass es im November eine Verhandlung geben würde oder so. Aber es war nichts klar...wir wissen nicht, wie es weiter geht. Wir wurden immer noch angelogen, denn es wurde uns gesagt, wir könnten gehen, nachdem alle durch die Bürokratie gegangen wären und unterschrieben hätten. Und sie sagten: "Oh, es gibt einen Polizeibus draussen, ihr könnt ihn nehmen wenn ihr wollt": Aber wir wurden gezwungen, in den Polizeibus zu steigen und wurden zu einer Plizeistation gebracht. Alle dachten, dass wir freigelassen würde, aber ich dachte, dass sie uns nicht zu einer Polizeistation sondern nach Österreich bringen würden, oder nach Frankreich oder so. Doch wir wurden zu dieser Polizeistation gebracht und sie sagten uns, wir würden ausgeschafft. Ich dachte, ich würde Daniel nie wiedersehen.

Daniel, wurdest du zu der gleichen Polizeistation gebracht wie Carol?

Daniel: Ja, ich hatte dort schon lange gesessen und gewartet, wie ich schon sagte, etwa vier Stunden lang, und ich hatte gehört, dass sie abgeschoben worden sei, oder jedenfalls jemand von Canada, aber ich war immer noch nicht sicher, ich wusste, dass irgenwann ein Lastwagen mit Frauen ankommen sollte. Ich war sehr nervös und hatte ein Vorahnung, dass es vielleicht eine sehr unwahrscheinliche Möglichkeit geben könnte, dass sie dabei war. Dann hörte ich Bewegung im anderen Raum. Wir durften nicht aus den Fenstern sehen oder so etwas, so wussten wir nicht, ob der Lastwagen mit den Frauen angekommen war oder nicht, und ich sass da und sprach mit jemandem - und um die Ecke, aus dem nirgendwo - kam plötzlich Carol angerannt! Sie war durch die Polizeikette gebrochen. Und ich starrte sie nur an als sie mich sah, währscheinlich überraschter als ich selbst, und sie stürzte sich einfach auf mich und wir hielten uns und sie küsste mich, und die Polizei kam und versuchte uns zu trennen, alle fauchten die Polizisten an, uns sie hielt sich einfach an mir fest und hielt mich ganz fest.

Carol: Sie zogen mich an den Armen weg, aber ich liess nicht los.

Daniel: Schliesslich zogen sie sie weg, und ich musste für eine weitere Stunde dasitzen, bis sie wieder zurückkam - sie war erneut ausgebrochen... und kam zurück.
Diese Stunde war "easy time" - im Wissen, dass sie nur im nächsten Raum war.
Dann kam die Abschiebung, sie luden uns alle wieder ein, die Männer und die Frauen. Es gabe verschieden Busse, ich weiss nicht, wo die anderen hingebracht wurde, ob sie einfach an die Grenze gestellt wurden oder was...

Carol: Ich glaube, die Deutschen wurden in einem Bus nach Österreich gebraacht, aber die meisten anderen Leute, Leute von England, Schweden, Spanien, Kanada, wir wurden alle zum Flughafen in Mailand gebracht.

Daniel: Wir wurden einfach am Flughafen hinausgelassen.

Carol: Wir dachten, sie würden uns vielleicht gleich in einFlugzeug setzen und dachte: ok Gratis-Heimflug, klar, warum nicht...

Daniel: Sie stellten uns da ab und wir hatten absolut nichts dabei.

Carol: Es waren etwa sechs Polizisten da, nur eifache Poliziste niedrigen Rangs, sie fuhren uns einfach da hin und liessen uns raus, dann fuhren sie wieder ab.

Daniel: Das war Freiheit.

Dann gingt ihr zum Bahnhof?

Daniel: Nein, es war etwa sechs Uhr morgens, am Donnerstag morgen. Es war dann jemand da aus Mailand, ein Vertreter desGenova Social Forum in Milano, der in einem Centro Sociale in Milano arbeitete, und sie nahmen uns, Carol, mich und zwei Amerikaner, mit zu diesem Zentrum. Alle anderen hatten sich so schnell wie möglich auf die Heimreise gemacht, wie auch immer, mit Bus oder Zug. Und sie nahmen uns mit zu diesem Centro Sociale, wo wir einige Stunden schliefen, duschten, etwas Ordnung in unsere Köpfe brachten, ausserhalb einer Zelle.
Am nächsten Tag waren sie überwältigent lieb zu uns, sie gaben uns zu essen, brachten uns Kleider, wir gingen zum Kanadischen Konsulat, konnten das Telefon benützen. Wir wussten, dass wir das Land an diesem Tag verlassten musten, das heisst, wir wussten es nicht wirklich; sie hatten uns gesagt wir hätten 24 Stunden, oder zwei oder drei Tage, oder zwei oder drei Wochen, um das Land zu verlassen, wir wussten es nicht, so sagten wir uns: Gut, wir nehmen an, es sind 24 Stunden und gehen raus aus Italien, auf welche Weise auch immer.

War das Centro Sociale in Milano das Leoncavallo, wo ihr hingingt?

Daniel: Ja, es war ein Centro Sociale, Ponto Rosso war der Name der Organisation. Sie waren wirklich gut zu uns. Und von da bekamen wir ein Zugticket nach hier, nach Bern. Ich wusste nicht, dass Schweden und die Schweiz zwei verschiedene Länder sind, ich wusste nicht wo Bern war. Nach Bern sollten unsere Flugtickets nach Kanada geschickt worden sein, ins kanadische Konsulat. (Wir können sie am Montag abholen.) So gingen wir da hin, benützten wieder das Telefon. Der einzige Rat, den sie uns gaben, war, in eine Jugendherberge zu gehen, und wir gingen da sofort hin. Ich wuste glecih, dass wir da nicht bleiben würden, und wir fanden heraus, dass eine Nacht für beide zusammen 60 Franken oder so etwas lächerliches gekostet hätte, und so machte ich ein Schild mit dem Text: "Von Genua ausgeschafft - Brauchen einen Schlafplatz - Polizei hat alles gestohlen..." und wir liefen einfach mit dem Schild herum...

In der Stadt?

Daniel: Ja. Und dann sprach ich mit jemandem, und der sahte mir, wo das Social Centre war, die Reitchule, und wir gingen da hin, und die letzten Tage waren grossartig, die Leute waren wieder aussergewöhnlich lieb zu uns, fast überwältigend nett. Wir konnten da schlafen und essen, und sie haben unsere Nerven beruhigt und gaben uns wieder ein Gemeinschaftsgefühl. Warum wir nach Genua gingen, war genau deshalb, um mit Leuten wie diesem zusammen zu sein, und mit ihnen zusammen zu kämpfen, damit wir leben können wie sie hier leben, und unser Rücken war in dieser Sphäre, und das ist grossartig.

Würdet ihr je wieder an so eine Demonstration gehen?

Daniel: Ja, .auf jeden Fall.

Carol: Oh, ja. Jetzt umso mehr...

Daniel: Ich war nie sehr begeistert vo Massendemonstrationen. Ich will jetzt nicht über Logistik und Strategien sprechen, aber ich glaube nicht, dass Massendemonstrationen weniger erreichen können als basisdemoktratische (grassroot) soziale Organisationenn, deren Wirkung für die Leute, da wo sie leben, viel direkter ist. Doch ich denke, ich habe jetzt viel mehr Hass auf die Polizei und Hass auf das etablierte System, den ich sublimieren muss, und ich denke , der beste Ort, um diesen Hass zu sublimieren, ist eine grosse Demonstration. Wen also ihre Strategie oder Ziel war, uns zu befrieden, dann haben sie genau die gegenteilige Wirkung erreicht.

Carol: Ich denke, dass die Massendemonstrationen, wie sie im Moment im Kommen sind, stark auf Aktivismus fokussieren. Das sollte aber nicht der Fokus sein, sondern es sollte mehr davon rüberkommen, dass wir jetzt alle zusammenkommen, und dass uns dies neuen Power gibt und uns darin bestärkt, für was wir kämpfen. Der fokus sollte darauf gerichtet sein, woher wir kommen und was wir an den Orten tun, an denen wir leben, wie dieser Ort in Bern.
(...)

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